Reihe: „Denk-mal!“ – Die Geschichte hinter den Dingen

„Und in das Feuer, das verraucht, wirf dich als letztes Scheit“ – Pfadfinder:innen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus

Am 27. Januar 2022 wurde, wie in den letzten Jahren auch, weltweit an die Millionen von Menschen erinnert, die während der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland zwischen 1933 und 1945 verfolgt und ermordet worden waren. Unter den Opfern befanden sich sechs Millionen Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehowas, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter:innen, Homosexuelle, Kranke und Menschen mit Behinderungen sowie politische Gegner des nationalsozialistischen Regimes. Der Jahrestag erinnert an die Befreiung der Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz (in Polen) am 27. Januar 1945, das als Sinnbild für die unvorstellbaren Verbrechen der Nationalsozialisten gilt. Dort ermordeten die Nationalsozialisten ab 1940 mehr als 1,5 Millionen Menschen.

Bereits in den Jahren davor gingen die Machthaber in Deutschland gnadenlos gegen Andersdenkende sowie alle Menschen vor, die nicht in ihr rassistisches und antisemitisches Weltbild passten. Zudem versuchten sie, ihre Macht zu sichern und Kontrolle über das Denken und Handeln der Bevölkerung zu gewinnen. Ein erklärtes Ziel der Nationalsozialisten war hierbei, besonders Kinder und Jugendliche in ihrem Sinne zu beeinflussen. Diese sollten zu bedingungslosem Gehorsam, militärischer Disziplin und Selbstaufopferung erzogen werden. Das stand im direkten Widerspruch zu den Idealen der Pfadfinderei, die ja darin bestehen, junge Menschen dabei zu helfen, Verantwortung für sich selbst und für andere zu übernehmen und sich zum Wohle aller zu engagieren. Vor diesem Hintergrund wollen wir versuchen zu zeigen, wie die Pfadfinder die schwere Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland erlebten und auf welche Weise es einigen Pfadfindergruppen gelang, die Ideen der Pfadfinderbewegung trotz aller Gefahren am Leben zu erhalten. 


1933 änderte sich die Situation jedoch schlagartig: Wenige Monate nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler ließen die Nationalsozialisten die meisten der bestehenden Jugendgruppen verbieten. Deren Mitglieder wurden zwangsweise in die wenige Jahre zuvor gegründete Hitlerjugend (HJ), die Jugendorganisation der Nationalsozialisten, eingegliedert. Die HJ ahmte typische Elemente der Pfadfinderei, wie gemeinsame Fahren, Zeltlager, Naturerlebnisse und Pfadfinderkluften nach. Sie nutzte diese Angebote jedoch schamlos aus, um die Jugendlichen und Kinder im Sinne des Nationalsozialismus zu manipulieren.Ähnlich wie in vielen anderen Ländern erlebten die Pfadfinder in Deutschland in den letzten Jahren vor dem Beginn Nazi-Herrschaft einen Aufschwung: Zur Zeit der Weimarer Republik gründeten sich zahlreiche Jugendgruppen, die eine lebendige Jugendarbeit auf die Beine stellten und stetig neue Mitglieder hinzugewannen. So bildete sich 1929 auch unser Verband, die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG).

 


Viele gaben dem Druck schließlich nach und verließen die Pfadfinderverbände mehr oder weniger freiwillig. Andere weigerten sich jedoch, sich dem NS-System anzupassen, gingen stattdessen im Geheimen weiterhin ihren Traditionen nach und hielten Kontakt zu ihren anderen Pfadfinder:innen. Eine kleine Minderheit hatte sogar den Mut, sich offen zu ihrem Dasein als Pfadfinder:innen zu bekennen. So fuhren im Sommer 1935 um die 200 Pfadfinder:innen der DPSG zusammen mit anderen katholischen Jugendgruppen auf eine große Wallfahrt nach Rom. Das nationalsozialistische Regime nahm dies als eine Provokation wahr, weshalb es die Teilnehmer:innen bei ihrer Wiedereinreise nach Deutschland festhalten und ihre Banner, Kluften, Abzeichen, Zelte und Gitarren beschlagnahmen ließ.Die evangelischen sowie katholischen Pfadfinderbünde wie auch die DPSG waren von dem Verbot zuerst nicht betroffen. Dennoch wurde auch ihnen das Leben zunehmend schwer gemacht. So war es den Pfadfinder:innen seit 1934 verboten, größere Aktionen wie Wanderungen oder Zeltlager durchzuführen und sich in der Öffentlichkeit mit Kluft, Halstuch und Banner zu zeigen. Erlaubt blieb ihnen allein die Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen wie die Teilnahme an Prozessionen oder Bibelabenden. Außerdem kam es vermehrt zu gewaltsamen Übergriffen von Anhängern der Hitlerjugend auf einzelne Pfadfindergruppen und ihre Heime. Auch wurde einigen Pfadfinder:innen mit Konsequenzen gedroht, falls sie nicht der HJ beitreten würden.

 


Das Fahrtenlied „Schließ Aug und Ohr“, das viele von Euch sicherlich bereits aus Zeltlagern kennen, diente den „illegalen“ Jugendgruppen in dieser schweren Zeit als Besinnungslied. Die letzte Strophe des Liedes findet Ihr auch in der Überschrift dieses Artikels wieder: „Die Stunde kommt, da man dich braucht, dann sei du ganz bereit. Und in das Feuer, das verraucht, wirf dich als letztes Scheit“.Im Frühjahr 1938 wurde die DPSG schließlich verboten. Dennoch trafen sich weiterhin Jugendliche zu geheimen Zeltlagern oder Fahrten ins Ausland, um Kontakt zu ausländischen Pfadfindergruppen aufzunehmen. Dies wurde jedoch mit Beginn des Krieges 1939 immer schwieriger. Da solche Unternehmungen im Geheimen stattfinden mussten, wissen wir häufig nur sehr wenig darüber. Die aus der Sicht des Regimes „illegalen“ Jugendgruppen lebten zudem unter der ständigen Gefahr, aufzufliegen und verhaftet zu werden. Aus diesem Grund nutzten viele Jugendlichen die bereits vor 1933 üblichen Fahrtennamen, um sich vor Verfolgung zu schützen: Anstelle des eigentlichen Namens stellten sie sich anderen Jugendlichen gegenüber allein unter ihrem Decknamen vor, um unerkannt zu bleiben, falls ihre neuen Bekannten verhaftet und verhört würden. Ganz wenige Pfadfinder:innen engagierten sich sogar aktiv im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, wie der Soldat und ehemalige Pfadfinder Friedrich Karl Klausing. Er gehörte zur Widerstandsgruppe um den Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg und wurde wegen seiner Beteiligung an dem Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 wenig später hingerichtet.

Wenn Ihr mehr über die Geschichte der Pfadfinder und anderer Jugendgruppen bis 1945 erfahren wollt, empfehlen wir Euch die Internetseite „Jugend! Deutschland 1918-1945“, auf der ganz verschiedene Jugend- und Pfadfindergruppen vorgestellt werden: https://jugend1918-1945.de/portal/Jugend/Default.aspx.